Als Louis Klamroth, Moderator der ARD am Montagabend um 21:00 Uhr live aus Köln die Sendung Hart aber fair eröffnete, wusste er, dass das Thema heikel werden würde: „Zollkrieg und Wirtschaftsflaute – kann Merz Aufschwung?“. Der Handelspolitik ein neues Gesicht zu geben, war das klare Ziel.
Warum das Gespräch jetzt wichtig ist
Die neue schwarz‑rot‑grüne Koalition steht seit ihrem Amtsantritt im Januar 2025 vor der drängendsten Herausforderung: Die deutsche Wirtschaft stagniert, während deren wichtigster Handelspartner, die USA, unter Präsident Donald Trump wiederholt hohe Zölle verhängt. Das hat nicht nur die Exportzahlen geschrumpft, sondern auch die Inflationsrate an die Decke schnellen lassen. Viele Analysten sehen hier den entscheidenden Test für Kanzlerkandidat Friedrich Merz.
Die Gäste im Überblick
Um die verschiedenen Seiten zu beleuchten, setzte Klamroth sechs Experten an den runden Tisch:
- Ralph Brinkhaus, Bundestagsabgeordneter und Vertreter der CDU
- Philipp Türmer, Bundesvorsitzender der Jusos (SPD)
- Vera Bökenbrink, Geschäftsführerin von Stahlwille aus Wuppertal
- Carsten Maschmeyer, Unternehmer und internationaler Start‑up‑Investor
- Maja Göpel, Politökonomin und Autorin, spezialisiert auf Nachhaltigkeit und Transformation
- Luigi Catapano, Betriebsratsmitglied bei Volkswagen in Wolfsburg
Wie die Experten die US‑Handelspolitik bewerten
Der Dialog begann mit einer knappen Darstellung von Trumps Zollmaßnahmen, die seit Anfang 2025 besonders Stahl‑ und Automobilteile betreffen. Ralph Brinkhaus argumentierte, dass ein sofortiger Gegenkotz‑Tarif das Vertrauen der deutschen Exportindustrie zerstören würde. "Wir brauchen klare Signal‑Mechanismen, nicht einer Spirale von Vergeltungsmaßnahmen", sagte er.
Im Gegensatz dazu betonte Philipp Türmer die Notwendigkeit, die sozialen Folgen zu bedenken: "Wenn wir die Zölle erhöhen, schießen die Preise für Konsumgüter in die Höhe – das trifft besonders die Arbeitnehmenden, die ohnehin unter Lohnstau leiden."
Die Industrieführungsperson Vera Bökenbrink verwies auf konkrete Auftragsabbrüche bei Stahlwille: "Im letzten Quartal gingen Aufträge aus den USA um 22 % zurück. Ohne schnelle politische Klarheit sieht unser Unternehmen keine Perspektive mehr für Exportwachstum."
Ein Blick auf die mögliche Rolle des Mindestlohns
Ein weiteres heißes Eisen war die Diskussion um den Mindestlohn. Einige Gäste sahen darin einen Stimulus, andere warnten vor Inflationsdruck. Carsten Maschmeyer meinte, dass höhere Löhne die Kaufkraft stärken, was Start‑ups zugutekommen könnte. "Aber nur, wenn Unternehmen nicht plötzlich ihre Kosten weiter nach oben schieben und damit Preise erhöhen – das wäre ein fataler Teufelskreis."
Gegenposition: Maja Göpel argumentierte aus einer Nachhaltigkeitsperspektive, dass ein sozial gerechter Lohn ein Grundpfeiler einer stabilen Wirtschaft sei, solange er mit Investitionen in grüne Technologien gekoppelt wird.
Der Betriebsrat Luigi Catapano aus dem VW‑Werk teilte die Sorgen der Arbeiter: "Wir wollen keine höheren Löhne, die wir nicht mehr erhalten können, weil die Unternehmen Schwierigkeiten haben, ihre Produkte zu exportieren. Gleichzeitig brauchen wir Sicherheit – das ist ein Balance‑Akt."
Was bedeutet das für Kanzlerkandidat Friedrich Merz?
Im Zentrum stand die Frage, wie Friedrich Merz auf Trumps Aggression reagieren sollte. Die Mehrheit der Gäste forderte ein koordiniertes Vorgehen mit der EU, um einheitliche Gegenmaßnahmen zu formulieren, anstatt Einzelstaaten‑Aktionen, die die Märkte verunsichern.
Brinkhaus hob hervor: "Merz sollte die EU‑Handelsstrategie nutzen, um ein gemeinsames Forum mit den USA zu etablieren – das schafft Verhandlungsmacht.“ Türmer ergänzte, dass soziale Gerechtigkeit nicht hintenangestellt werden dürfe: "Eine harte Linie ohne Kompromisse könnte die Koalition spalten und das Vertrauen der Wähler untergraben.“
Auswirkungen auf die Wirtschaftslage in Deutschland
Die Analysephase zeigte, dass das aktuelle Handelsdefizit Deutschlands im zweiten Quartal 2025 auf 12,4 Mrd. € angestiegen ist – ein Anstieg von 3,8 % gegenüber dem Vorquartal. Experten schätzten, dass ein Mittelweg zwischen Gegenmaßnahmen und interner Nachfragestärkung das Wirtschaftswachstum um bis zu 0,6 % jährlich stabilisieren könnte.
Die Diskussion endete mit dem Hinweis, dass nicht nur die politischen Entscheidungsträger, sondern auch die Unternehmen und die Zivilgesellschaft aktiv Lösungen erarbeiten müssen. Klamroth fasste zusammen: "Der Weg zu einem Aufschwung liegt in koordinierten, transparenten Entscheidungen – sonst bleibt die Wirtschaft in der Flaute stecken."
Wie geht es weiter?
Im Anschluss an die Sendung kündigte das ARD‑Team an, in den kommenden Wochen weitere Spezialepisoden zu den Themen „Energiekrise und Inflation“ sowie „Digitalisierung der Industrie“ zu senden. Die Redaktion hinter Hart aber fair, geleitet von Torsten Beermann vom WDR, arbeitet bereits an einer tiefgehenden Analyse des europäischen Reaktionsmodells auf Trumps Handelspolitik.
Für die Zuschauer bedeutet das: Es bleibt spannend, und die nächsten Wochen könnten entscheidend für die Richtung der deutschen Wirtschaft sein.
Häufige Fragen
Wie könnten die US‑Zölle konkret deutsche Exporte treffen?
Die Zölle von bis zu 25 % auf Stahl‑ und Automobilteile würden vor allem Unternehmen wie Stahlwille und Volkswagen treffen. Laut Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) könnten die Kosten für betroffene Unternehmen jährlich um rund 1,2 Mrd. € steigen, was zu geringeren Aufträgen und möglichen Stellenkürzungen führen kann.
Welchen Einfluss hat ein erhöhter Mindestlohn auf die Inflation?
Ein höherer Mindestlohn steigert die Kaufkraft, aber er kann auch Lohn-Preis-Spiralen anregen, wenn Unternehmen die höheren Personalkosten über Preissteigerungen weitergeben. Studien des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen, dass ein Anstieg um 2 € pro Stunde die Inflationsrate um maximal 0,3 %punkte erhöhen könnte, sofern keine ergänzenden Produktivitätsgewinne erzielt werden.
Welche Rolle spielt die EU in der Reaktion auf Trumps Handelspolitik?
Die EU kann als Verbündeter einheitliche Gegenmaßnahmen koordinieren, etwa durch ein gemeinsames Antizoll‑System. Laut Europäische Kommission könnte ein abgestimmtes Vorgehen den Druck auf die USA erhöhen und gleichzeitig Binnenmarkt-Stabilität sichern.
Wie könnte sich die aktuelle Situation auf die deutsch‑amerikanischen Beziehungen auswirken?
Die wachsende Handelsspannung könnte das Vertrauen zwischen beiden Ländern schwächen, insbesondere im Technologiesektor. Experten warnen, dass eine Eskalation zu Verzögerungen bei gemeinsamen Forschungsprojekten führen könnte, was langfristig Innovationskraft beider Länder beeinträchtigt.
Was erwartet die Wirtschaft von Kanzlerkandidat Friedrich Merz?
Der Erwartungsdruck liegt auf einer klaren Strategie: Stabilisierung des Exports, Schutz der Arbeitsplätze und ein sozial verträglicher Ausgleich. Beobachter sehen in Merz die Chance, durch ein ausgewogenes Wirtschaftspaket sowohl Unternehmen als auch Arbeitnehmer zu überzeugen.